Andreas Weiland

Cluster bombs, die Ministerin und die Unterstellung des Anti-Semitismus

Einmal mehr habe eine bestimmte Ministerin der Bundesregierung, Frau Wieczorek-Zeul,  „in Bezug auf Israel reflexhaft reagiert“, heißt es derzeit.  Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt. Als öffentliche Kritik medienwirksam von Herrn Korn, dem Vizepräsident einer Institution vorgetragen, die sich – aus verständlichen Gründen – zur Solidarität mit Israel verpflichtet sieht, schwingt dabei der Vorwurf einer Voreingenommenheit mit. Vielleicht sogar der Vorwurf, Frau Wieczorek-Zeul sei, wie die Linke überhaupt, latent oder offen anti-semitisch, da sie die Politik der israelischen Regierung nicht nur wiederholt kritisiert habe, sondern „reflexhaft“. Womit sie dieselbe –  wird dies nicht impliziert? –  aufgrund eines gewissen, ideologisch oder auch psychologisch begründeten Automatismus intuitiv, voreingenommen und unfair an den Pranger stelle. Im Moment geht es beiden, der derart Beschuldigten und ihrem Kritiker, um jene UN-Untersuchung des israelischen Einsatzes von ‚cluster bombs’ oder Streubomben durch die israelische Armee im Libanon, welche die Ministerin befürwortet hatte.

Im folgenden soll die Frage behandelt werden, ob die ‚Befürwortung’ einer UN-Kommission, den im Juli/August erfolgten Einsatz von ‚cluster bombs’ betreffend, seitens der Ministerin den erhobenen Vorwurf rechtfertigt. Wenig ist zu sagen zu dem Vorwurf, die Ministerin habe ‚einmal mehr’ eine Voreingenommenheit gegenüber Israel unter Beweis gestellt, denn wenn dieser Vorwurf nicht präzisiert wird, ist er auch durch nichts und niemanden zu widerlegen. 

Es ist bemerkenswert, dass der Kritiker sagt, er sei nicht grundsätzlich gegen die vorgeschlagene UN-Untersuchung. Wogegen ist er dann? Es lässt sich denken. Er ist dagegen, dass die israelische Regierung und damit Israel und damit –  was von dem Kritiker zu Recht befürchtet  wird – wieder einmal „die Juden“ herausgeguckt werden. „Singled out“, sagt man im Englischen. Es meint: Jemanden, als einzigen, unter mehreren möglichen „culprits“, aufs Korn nehmen.

Kann man aber –  selbst dann, wenn eine derartige Befürchtung auf verständlichen Ängsten und langen, negativen Erfahrungen beruht – im konkreten Fall  Frau Wieczorek-Zeul den besagten Vorwurf machen? Kann man, wie es geschieht (z.B. von jenen, auf die sich der Autor des am 17. August 2006 in der ZEIT unter dem Titel „Unter Freunden wird man doch...“ erschienenen Artikels diesbezüglich beruft), „der“ Linken insgesamt den besagten Vorwurf machen?

Ich denke, dass es „die“ Linke so wenig gibt wie „die“ Deutschen, „die“ Juden, „die“ Araber (oder Muslime). Vorwürfe sind konkret zu spezifizieren, und man kann nur konkret darauf antworten. Politische Analysen sind etwas anderes als moralische Vorwürfe gegen eine Person oder gegen eine Gruppierung von Personen, denn sie können, ja müssen das Tendenzielle erfassen.

Wie also sieht es aus, im Fall der Ministerin? Wird Israel wirklich, unter allen Streubomben gegen zivile und/oder militärische Ziele Nutzenden, als einziger „Übeltäter“ von der Ministerin herausgepickt? 
Die Frage wird man anhand von Fakten, anhand einer Überprüfung der „statements“ der Ministerin, überprüfen können. Wandte sie sich öffentlich gegen den Einsatz von uranium depleted ammunition (was ja – in seinen Effekten – vergleichbar mit dem Einsatz von cluster bombs wäre) seitens der NATO im ehemaligen Jugoslawien? Kritisierte sie, als Mitglied der Bundesregierung, offen und öffentlich den Einsatz der Streubomben durch die USA in Afghanistan und im Irak? Möglich ist es schon, ausgemacht jedoch nicht. Eigentlich ist es, politisch betrachtet, eher unwahrscheinlich.

Und dennoch: Ganz ähnlich wie –  beispielsweise –  den bekannten Abgeordneten der GRÜNEN, Herrn Stroebele, halte ich Frau Wieczorek-Zeul für einen integren Menschen. Das setzt keine politische Übereinstimmung voraus. 

Daß ich, des Beispiels halber, Herrn Stroebele erwähne, hat seinen Grund. Es kommt mir darauf an, an einem Beispiel, dem einer Intervention des Herrn Stroebele in die Debatte um Ausweitung der Videoüberwachung, zu erläutern, warum andere als moralische Erwägungen einen Politiker dazu veranlassen können, mit seiner Meinung – in bestimmten Fällen und unter bestimmten Umständen – anscheinend ‚hinter dem Berge zu halten’, also: sich nicht offen zu artikulieren. Mit anderen Worten; ich behaupte: Personen, die in der ‚Politik’, also in den das ‚Spiel’ der parlamentarischen Kräfte mitbestimmenden Parteien in einem gewissen Maße reüssieren, sehen sich in bestimmten Fragen, wenn nicht prinzipiell, zu dem, was der Volksmund ‚Eiertänze’ nennt, gezwungen. Gewiß, im Fall eines Christian Stroebele oder einer Heidemarie Wieczorek-Zeul, nicht gern. Ich unterstelle dies. Denn sie erscheinen als engagiert für das, was sie für recht und billig halten, als geradlinig, würden manche sagen, aber gerade Linien suggerieren eine Einfachheit des Lebens, seiner Probleme und der Antworten, die wir von Fall zu Fall entdecken, die es nicht gibt. Also müsste man einen anderen Begriff dafür entdecken: Authentizität? Integrität? Das Bemühen, der Versuch, ehrlich zu sein – mit sich selbst, und mit anderen? 
Offenkundig sind die Verhältnisse, zumal in der Politik, nicht so einfach, und es bleibt fragwürdig, ob man sich (selbst wenn man an diesem Ziel, dieser Hoffnung, diesem Bild, auch von sich selbst, vielleicht als einem Bild davon, wie alle Menschen sein sollten, hängt) in der ‚Politik’ gestatten kann, jederzeit offen und ehrlich zu sein: mit sich, mit den Anderen, gegenüber den Medien, gegenüber ‚den’ Wählern, den Bürgern, überhaupt den Menschen, die leben auf diesem Planeten, in diesem Moment.

Selbst die Außenseiter der Politik, jene, die als besonders engagiert und couragiert gelten, sind von diesem Dilemma betroffen. Vielleicht gerade sie? Weil sie medial besonders stark „unter Beobachtung“ stehen? Weil ihre politischen Gegner, ihre Konkurrenten nur auf einen vermeintlichen faux pas warten? Weil sie darauf hoffen, gerade den ‚Außenseitern,’ den linken Flügelmännern und Flügelfrauen der etablierten Politik einen Bruch mit den „verabredeten Normen“, ein Ausscheren aus den postulierten „Selbstverständlichkeiten“ eines medial verfochtenen „normalen“ Diskurses (und damit eine Verletzung des „demokratischen“ Konsenses) nachzuweisen? Dies hat Konsequenzen, hat Auswirkungen, gerade auch für die Beobachteten: Wenn Herr Stroebele, als Abgeordneter der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – im Rundfunk befragt nach den Gefahren der Ausweitung der technisch immer weitergehend machbaren Überwachung – zur Sache kommen müsste, und zwar umfassend und klipp und klar,  so formuliert er einerseits seine Einwände gegen eine möglicherweise schrankenlose Ausweitung z.B. der Videoüberwachung, sowie gegen eine Vernetzung von Datenbeständen. Und zwar, was symptomatisch ist, vor dem Hintergrund, dass möglicherweise harmlosere ‚Vergehen’ (sagen wir, wie ‚Schwarzfahren’), die nach derzeitiger Rechtslage nicht den Einsatz Orwellscher Totalüberwachung rechtfertigen würden‚ eines Tages auf der Basis der neu gegebenen technischen Möglichkeiten verfolgt werden könnten, wenn die Befürworter der Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen mit ihren Forderungen nach solcher Ausweitung durchkommen – Forderungen, die sie lediglich mit dem Einsatz besagter Überwachungsinstrumenente ‚zum Schutz gegen Terroristen’ legitimieren. Herr Stroebele spricht damit die kleinen, unpolitischen Bedenken des unpolitischen ‚kleinen Mannes’ an (den schon Wilhelm Reich als potentiellen Mitläufer und ressentimentgeladenen Spießer entlarvte). Er argumentiert dabei wie ein Politiker, aber auch ein abwägender, formalistischer Rechtsanwalt. Er verweist klug darauf, dass – sind erst einmal Möglichkeiten der Überwachung und Vernetzung von Datenbeständen geschaffen, die ‚Begehrlichkeiten’ immer größer würden, das Ganze für dieses und jenes einzusetzen. Gegen die besagten, von ihm nicht zufällig angeführten ‚Schwarzfahrer’ etwa. Vielleicht lässt Stroebele auch anklingen, dass nicht wenige Deutsche ja mit den Überwachungspraktiken in der DDR ungute Erfahrungen machten und dass gebrannte Kinder das Feuer scheuen. Was ihn dann relativ still werden lässt, ist die Frage: Glauben Sie denn, Sie können die Geheimdienste eines totalitären Staats mit denen einer offenen Demokratie gleichsetzen? Da windet sich ein Politiker der GRÜNEN, und sei es auch ein Christian Stroebele, wenn er sich nicht medial und damit politisch ins Aus manövrieren will. Wie weit tatsächlich schon längst, auch außerhalb des gesetzlichen Rahmens, in den ‚offenen Demokratien’ die Überwachung geht, und dass das perspektivisch ins Auge gefasste Objekt der Überwachung, der potentielle Gegner der überwachenden staatlichen Institutionen, die Bevölkerung als Ganze wäre (nämlich unter der Bedingung, dass sie – wie schon die Notstandsgesetze implizierten – im Fall der Zuspitzung von Krisen zu rebellisch wird), dass Überwachung also ein präventives Langzeit-Unternehmen ist, dessen jetzige Motivationen (‚Terrorismus’) und Vorwände sekundär sind, mag auch ein Herr Stroebele befürchten: er kann und darf es –  auf der politischen Bühne, als ein in einer etablierten Partei agierender Mensch – nicht aussprechen. Dabei erinnern wir uns doch nur zu gut: die Weimarer Republik stellte demokratisch korrekt die Notstandsgesetze bereit, die den Nazis und somit Hitler die Etablierung der Diktatur erleichterten, nachdem diese legal, durch Wahlen und Koalition mit der DNVP, an die Regierung gekommen waren. Und wie schnell, von 1928 bis 1933, waren sie von einer quantité negligable zur stärksten Partei im Reichstag angewachsen! Die Erfahrungen der Vergangenheiten sollten uns davor warnen, Instrumente, wie sie jede Diktatur zur totalen Kontrolle ihrer ‚Subjekte’ braucht, bereits den demokratisch gewählten Institutionen einer (noch oder schon, schon oder noch) relativ demokratischen Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Hier tach’les zu reden, die schon lange anhaltenden Missstände offen zu thematisieren, auch und gerade und trotz der Tatsache, dass so viel davon verdeckt blieb, versteckt blieb, formaljuristisch ‚nicht bewiesen’, ‚nicht beweisbar’ ist, sowie die demokratiegefährdenden und offen antidemokratischen Tendenzen einer immer intensiveren und extensiveren (nämlich sich verallgemeinernden) Überwachung anzuklagen, die Frage nach den voraussichtlichen Nutznießern, damit die Frage nach den realen Einfluß- und Machtverhältnissen der diversen ‚Blöcke’ oder ‚sozialen Kräfte’ in einer Demokratie wie Deutschland und in der demokratischen EU zu stellen, dazu fehlt einem Herrn Stroebele der Mut. Oder dazu ist seine ‚politische Klugheit’ zu ausgeprägt. Weil er weiß, dass diese Frage offensiv zu stellen, bedeuten würde, in seiner Partei, den GRÜNEN, so wie die Dinge derzeit liegen,  politisches Harakiri zu begehen. Als Abgeordneter, als ‚linkes’ Aushängeschild der Partei, die deren ‚linken’ Rand an die Partei und deren ganz andere Führungsgruppe binden soll und vermutlich auch bindet.
 

Dieser lange Exkurs war notwendig, weil Parallelen bestehen zwischen der argumentativen (und damit politischen) Praxis eines Christian Stroebele und einer Heidi Wieczorek-Zeul.

Die Ministerin, die den Draht zur von der Bundesregierung systematisch vernachlässigten sogenannten Dritten Welt halten soll und als ihr progressives, „Dritte-Welt-freundliches“ Aushängeschild herhalten muß (eine Aufgabe, der sie sich zweifellos unterzieht, weil sie denkt, dass sie so das wenige Gute, Vernünftige, Notwendige im von der Regierung und nicht zuletzt vom Finanzministerium gesteckten, recht engen Rahmen  tun kann, das überhaupt möglich ist und dass nicht getan würde, setzte sie sich nicht – unterstützt von ihren Staatssekretären und Fachleuten –  mit ihrem ganzen Gewicht als Ministerin für bestimmte Belange ein), die Ministerin als notwendige und gebrauchte linke Flügelfrau der Schröder- wie Merkel/Müntefering-Regierung hatte, so vermute ich, wohl kaum die ihr politisches ‚Aus’ als Regierungsmitglied implizierende Courage, in der Artikulation ihrer gewiß kritischen Haltung vis-à-vis dem US-Krieg gegen Irak so weit zu gehen, eine UN-Untersuchung oder die Einsetzung eines Tribunal zu fordern, damit etwa der dortige US-amerikanische Cluster-Bomben Einsatz untersucht würde. Auch wäre sie nicht als Ministerin der Regierung erhalten geblieben, hätte sie den NATO-Krieg im ehemaligen Jugoslawien nicht mitgetragen – was die Kritik der eingesetzten Mittel naturgemäß erschwert. Offensichtlich hat Frau Wieczorek-Zeul, in Abwägung der „pros“ und „cons“ ihres Tun und Unterlassens, ihre Arbeit „im Interesse der Dritten Welt“, d.h. als für sogenannte Entwicklungshilfe verantwortliche Ministerin, als so wichtig bewertet, dass sie, um das Amt und damit ihre Pflicht weiter auszuüben, zu gewissen Dingen anscheinend schwieg. 
Oder habe ich  - haben einige wie ich – lediglich nicht aufmerksam zugehört? Hat auch Herr Korn ihre eventuelle Kritik an den amerikanischen Abwürfen von cluster bombs überhört?

Wie dem auch sei, und hätte sie zu den besagten amerikanischen Bomben auch in der Tat geschwiegen, sodaß wir von jedem Vorwurf, ihre entsprechende Kritik überhört zu haben, freizusprechen sind: es ist in jedem Fall kaum denkbar, dass sie, obschon Ministerin einer kriegführenden Regierung, im Fall der Intervention in Jugoslawien ein begeisterter Bellizist war. Es ist auch kaum anzunehmen, dass sie – privat – den Einsatz von urangehärteten Geschossen durch die NATO nicht als ungeheuerlich kritisiert. Es ist kaum zu vermuten, dass sie, was den Einsatz von Streu-Bomben durch die USA in Afghanistan und im Irak angeht, eine andere Auffassung hegt als im Fall des israelischen Einsatzes von Streu-Bomben im Libanon. Ist es nicht im Anbetracht ihres ganzen bisherigen politischen Tuns und Unterlassens, angesichts also dessen, was offenbar wurde als „ihre Haltung“, solange keine besseren Beweise für das Gegenteil geliefert werden als der jetzt vorgetragene, recht fragwürdig, um nicht so sagen, absurd, sie unterschwellig des Anti-Semitismus zu verdächtigen? Und ist es nicht darüber hinaus – auch wenn jeder einzelne Linke, aufgrund seiner Sozialisation, seiner family history und der Vorurteile, mit denen er groß wurde, durchaus ein Mensch sein kann, der früh verinnerlichte antisemitische Vorurteile verdrängt und verbal überspielt, ohne dass sie eventuell aufhören, virulent zu sein – seltsam polemisch und letztlich unhaltbar, der Linken insgesamt, also jenem Korpus antifaschistischen Denkens und Handelns, das sich historisch über Jahrzehnte herausbildete, den Vorwurf zu machen, antisemitisch zu sein, wenn zugleich die Regierung Israels auf das freundlichste Umgang pflegte mit jenem Staat, der einen Heusinger zu den ersten Generälen seiner Armee, Ribbentrop-Diplomaten zum neuen Kern seiner Diplomatie, nicht wenige Nazi-Richter zu Vertretern seiner Rechtspflege und Herrn Globke zum Vertrauten seines ersten Bundeskanzlers machte? Versteht man mancherorts unter Anti-Semitismus bereits alles, was restlose Loyalität zum Staat Israel in Gefahr bringt und unter Anti-Semiten nunmehr jeden, der im Bemühen, überall fair zu sein (und zu allen), sich die Kritik an Praktiken der Regierung der Staates Israel nicht versagt? Sind manchen inzwischen jene viel lieber, die – gleichgültig, ob Ausländerfeinde, vielleicht gar Rassisten oder nicht -  mit Israels Regierung zumindest verbal übereinstimmen? Diese Auffassung, dass gerade die konservative Rechte, von Aznar und Bush bis zu Rasmussen und weiß wem noch, zu den verlässlichsten Freunden Israels zählt, nimmt leider bisweilen Gestalt an, so scheint es –  wenn auch beileibe nicht überall in Israel und durchaus nicht seitens aller Menschen: auch nicht aller sich als Israelis oder als Juden definierenden (oder auch von den anderen ‚definierten’) Menschen. 

Dennoch ist Kritik an der Ministerin berechtigt, wenn sie nicht bereits die USA wegen des Streubomben-Einsatzes im Irak „für Diplomaten-Ohren“ derart „scharf“ kritisiert haben sollte wie dann Israel, als sie (vorsichtig) die Meinung äußerte, eine UN-Untersuchung des israelischen Streubomben-Einsatzes sei angebracht. 

Für von der primären, die „antwortende Kritik“ Korns auslösenden Kritik der Ministerin Betroffene (also die israelische Regierung und die israelische Armeeführung) und sich betroffen Fühlende (weil sie, ob der von ihnen gewählten oder ihnen ‚auferlegten’ Identität als Juden, die israelische Führung und damit Israel und damit ‚alle Juden’ wieder einmal als Juden herausgepickt und an den Pranger gestellt sehen) ist die erhobene Forderung nach einer Untersuchungskommission deshalb unakzeptabel, weil (a) Streu-Bomben nicht international, das heißt völkerrechtlich verbindlich geächtet seien (was ein rein formales Argument ist, denn wenn ihre Anwendung inakzeptabel ist, wird man für ihre sofortige Ächtung eintreten müssen, gleichgültig, ob man sich als Animist, Atheist, Buddhist, Christ, Hindu, Jude, Moslem oder etwas anderes ‚definiert’), (b) weil sich die israelische Regierung und wohl auch die Mehrheit der Bevölkerung in Israel nicht als Angreifer, sondern als (von der Hisbollah im Libanon) Angegriffener versteht (was ein formalistisches Argument wäre, wenn sich erweisen sollte, dass die Hisbollah lediglich den Vorwand lieferte und ein Krieg, der die Hisbollah entscheidend schwächen sollte, schon längst geplant war), schließlich (c) weil andere (die USA gewiß, die NATO ebenfalls?) Streubomben einsetzten, ohne entsprechend – von besagter Ministerin – kritisiert zu werden.

Von den drei Zurückweisungen der Kritik lasse ich lediglich die letzte, dritte gelten: sofern tatsächlich die Ministerin lediglich Israel „herauspickte.“ Anzweifeln muß man den von dem Kritiker der Kritikerin suggerierten Grund: dass Anti-Semitismus –  ein uneingestandener zwar,  aber als verdrängter, als latenter nicht weniger gefährlich und um nichts weniger verwerflich –  der wahre Grund einer solchen ungleichen Behandlung der USA, der NATO, und Israels wäre. 

Wenn Frau Ministerin Wieczorek-Zeul in der Tat im Fall des Cluster-Bomben-Einsatzes in Afghanistan wie im Irak sowie im Fall des Einsatzes vergleichbarer Waffen im ehemaligen Jugoslawien (Kosovo; Bosnien?, Serbien?) geschwiegen haben sollte, so wäre der Grund, realistisch betrachtet, allerdings nicht Anti-Semitismus, sondern ‚politisches Kalkül’, ‚politische Klugkeit’: man könnte es auch Opportunismus nennen. Akzeptabel ist es auf keinen Fall, erst im Fall des israelischen Einsatzes von Streubomben das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Insofern sie es auf die Tagesordnung gesetzt hat, hat die Ministerin den sich nun Distanzierenden – allen voran die Bundeskanzlerin – was Mut und Integrität angeht, einiges voraus. Ihr Manko, hätte sie bis dato zu Streubomben geschwiegen, wäre ihr bisheriges Schweigen. Daß man bei Vergehen kleiner Verbündeter eher den Mut aufbringt, das Schweigen zu brechen als bei den Verbrechen des ‚großen Bruders’, gehört zu den Scheußlichkeiten der realen Politik: es ist per se kein Indiz für Anti-Semitismus, auch wenn es jetzt Israel trifft.

Der Kritiker im „Zentralrat der Juden“, der wohl kaum beansprucht, für „die“ Juden zu sprechen, muß sich, als Bürger, nicht als „Jude“ fragen lassen, ob das, was er von der Ministerin fordert, tatsächlich mehr Mut ist (in allen Fällen, wo auch er, nimmt man ihn beim Wort, gegen eine UN-Untersuchung nichts haben dürfte!). Oder ob er viel mehr ihr lediglich eins abzupressen suchte: jene opportunistische Klugheit, zu schweigen, die die Ministerin – möglicherweise (wir wissen es nicht!) – im Fall der USA und der NATO walten ließ.

Ohne auf einem hohen Roß zu sitzen, möchte ich Samuel Korn, möchte ich Heidi Wieczorek-Zeul in den Arm nehmen und ihnen sagen: Laßt uns aufhören, wie Diplomaten zu reden und lasst uns gemeinsam nach Lösungen suchen. Gegen das Unrecht, gegen Gewalt. Auch gegen die, von der Bürger Israels betroffen sind. Auch gegen die, von der die Palästinenser betroffen sind. Und Menschen in vielen Teilen der Welt. Schon wieder. Und immer noch.
Der Anti-Semitismus ist schrecklich. Aber sind es nicht auch der Rassismus und die Diskriminierung, die Afro-Amerikaner, die Afrikaner trifft? In den USA, in Europa. Oder Türken und Pakistani, in Europa. Kurden in der Türkei, Indigene in Guatemala, Sinti und Roma in vielen Ländern. “Orientalische Juden”, in Israel. Palästinenser, in der West Bank und Israel. Wenn eine andere, bessere Welt möglich werden soll, kann auch Israel nicht von Kritik ausgenommen werden. Alles andere wäre in der Tat Anti-Semitismus: verkleidet als Philo-Semitismus.
 
 

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