Macht, Massenmedien, und das
Internet
Was es bedeuten könnte,
“Deine Meinung” zu sagen
Zweimal schon las ich mit Interesse
die Kommentare von Zuhörern bzw. Zuschauern zu einer Sendung eines
„öffentlich-rechtlichen“ Senders. Beide Male wurde ich Zeuge von Interventionen
des Senders. Im ersten Fall ging es um die Löschung eines Kommentars,
und mehrere Teilnehmer beklagten Zensur, was von Seiten des Senders bestritten
wurde. Im zweiten Fall gab es eine Ermahnung, dass nicht zum Thema gehörende
Kommentare, statt im Netz zu erscheinen, gelöscht würden, ohne
dass die vorliegenden Beiträge einen Anlass für eine derartige
Ermahnung erkennen ließen. Die Ermahnung erschien mir im Ton oberlehrerhaft.
Sie atmete gleichsam den autoritären Geist „unserer“ Demokratie, die
ja eigentlich die ihre ist: die der „Volksparteien“ mit ihren entscheidenden
„Machern“ an der Spitze und ihrem bürokratischen und juristischen
Apparat.
Es ist bemerkenswert, dass es
in Deutschland nur eine einzige Sendung gab, in der Hörer ohne abklärendes
Vorgespräch, ohne Vorauswahl, also ohne „gatekeeper“ und somit als
Vorzensur wirkende Hürde sich zu Wort melden konnten, „Hallo Ü-Wagen“.
Und dass die neue, seit Pleitgens Weggang CDU-dominierte Spitze des WDR
diesem regelmäßigen Sendeplatz den Garaus machte.
Ein kritischer, antifaschistischer
Journalist, Axel Eggebrecht, der zu den Radiomachern der ersten Stunde
in Westdeutschland gehörte, hat einmal angemerkt, dass schon zu Anfang
der 50er Jahre die Parteien die Radiosender fest im Griff hatten und dass
damit ein freies, unzensiertes, von der Bürokratie eines parteiendominierten
Verwaltungsapparates nicht behindertes und eingeschränktes journalistisches
Arbeiten nicht mehr möglich war.
Neuerdings scheint immerhin das
Internet der Bevölkerung die Artikulationsfreiheit zu bieten, welche
Presse, Rundfunk und Fernsehen – als ganz wesentlich im Sinne einer Einbahnstrasse
„Inhalte“ von den wenigen die Informations- und Meinungsproduktion Kontrollierenden
zu den vielen Lesern, Zuhörern und Zuschauern transportierende Massenmedien
– bestenfalls in minimalem und von „Gatekeepern“ kontrolliertem Rahmen
bieten.
In Diktaturen wird die Option
geschätzt, die man vorfindet, wenn es heißt „Ihre Meinung“ ist
gefragt. Wenn also eine Internet-Seite Ihnen, liebe Leserin und lieber
Leser, die Möglichkeit bietet, „Ihre Meinung“ kundzutun. Die Möglichkeit
dazu wird inzwischen im Internet weltweit offeriert, von den USA bis Russland,
von China bis Chile, von San Marino bis Island. Auch in Deutschland.
Aber freuen wir uns nicht zu
sehr über diesen Fortschritt. Er ist, was Fortschritt oft zu sein
scheint, janusköpfig. Die Option, Your opinion, Ihre Meinung kundzutun,
ist letztendlich nur ein Instrument, dass den dominanten gesellschaftlichen
Kräften – den Herrschenden, kurz gesagt – müheloser ermöglicht,
die Meinung des Volkes zu erfahren. Ob es nun um anstehende Politikvorhaben,
welche die Medien diskutieren, ob um die Akzeptanz von durchgeführten
Vorhaben, oder um die Resonanz von Werbekampagnen, die für kommerzielle
Produkte werben, geht – immer liefern die, welche dank der Möglichkeit,
Ihre Meinung auszudrücken, dies auch tun, nichts weiter als das dringend
von „denen da oben“ benötigte feedback.
In Krisenzeiten erweist sich
ein derartiges feedback als Frühwarnsystem. Über Computerprogramme
gesteuerte Abhör- und Ausspähvorrichtungen können nicht
nur – auf key words (Schlüsselbegriffe) reagierend, den e-mail
und Telefonverkehr überwachen und potentielle Dissidenten identifizieren.
Das Interesse gilt auch Facebook und Twitter, gilt den Kommentaren,
die auf Internet-Seiten und in Leserbriefen hinterlassen werden, es gilt
dem Profil des Internet-Nutzers, der Charakteristik der Internet-Seiten,
die sie oder er typischerweise aufruft. Es ist klar, dass in Nordamerika
und Westeuropa seit mindestens 1946, 47, 48 (wenn nicht weit früher)
immer schon schwarze Listen angelegt wurden. Es ist ein sträflicher
Irrglaube, zu vermeinen, dass es heute anders ist. Waren früher Linke
automatisch verdächtig – ein SPD-Ministerpräsident von Hessen
stand einmal auf einer Liste der „im Ernstfall“ zu Verhaftenden oder zu
Ermordenden der NATO-Geheimorganisation Gladio, deren Existenz Andreotti
bestätigte – , so sind es heute Altermondisten, Ökologen, Bürgerrechtler,
Friedensbewegte, Tierschützer, Anhänger der Befreiungstheologie
und andere engagierte Katholiken, „verdächtige“ Ausländer und
Angehörige von Befreiungsbewegungen, sofern sie nicht – wie noch in
den 90er Jahren die UCK und zuvor die Taliban in Pakistan/Afghanistan –
mit dem CIA kooperieren. Die Freiheit, endlich im Internet ausdrücken
zu können, was man denkt, ist also für viele eine riskante Freiheit
und eine, die den Mächtigen Kenntnisse einbringt, die sie in diesem
Umfang und dieser Klarheit über viele von uns zuvor nie hatten. Klar,
dass man davon Gebrauch macht. Und in welcher bislang unbekannten Quantität!
Die Stasi und der Verfassungsschutz der 50er, 60er Jahre würde blass
vor Neid. Es war einfach aufwendiger, früher, Post abzufangen
und Briefe so unauffällig zu öffnen und wieder zu schließen,
dass es der Betroffene nicht merkt. Es war personalintensiver. Der technische
Ausspähfortschritt hat den Kreis der Ausgespähten explosionsartig
und fast schrankenlos erweitert. Geänderte gesetzliche Grundlagen,
welche die Bürgerrechte massiv einschränken, sichern diese Praxis
rechtlich ab.
Ein Gegeneffekt, eine Gegenfinalität
der Überwachungsstrategie, die das Angebot, unsere Meinung im Internet
auszudrücken, ohne Zweifel darstellt, ist natürlich auch, dass
wir alle – die vielen von einander isolierten Einzelnen – so erfahren,
wie „wir“ denken. Wir erfahren also, dass wir nicht allein sind.
Und mehr noch: wir erfahren auch
die ganze Bandbreite unserer Erkenntnisse, Einsichten, der Informationen
und Informationsquellen, auf die wir zugreifen können, wenn wir die
eingefahrenen Bahnen, die Welt der etablierten Medien, nicht länger
privilegieren.
Wir können also deutlich
erkennen, wie zweifelhaft die produzierten Informationen und Meinungen
der dominanten Medien oft sind. Wie zweifelhaft sie uns vielen –
und nicht nur Dir und mir – nur allzu oft aus gutem Grund erscheinen.
Wir bekräftigen so unsere
Distanz, unsere Autonomie als denkende Einzelne ebenso wie die Gemeinsamkeit,
das Gemeinsame unserer Suche nach neuen Wegen.
Und es ist genau dies, der kritische,
auf Überschreitung des Gegebenen, der eingefahrenen Routinen und der
Vorurteile, auch in uns selbst, gerichtete Impuls, der uns von der Vorherrschaft
der „globalen Fabrik der öffentlichen Meinung“ (José Saramago)
befreit.
Vielleicht gehört das Risiko,
als Bezweifler des Status Quo und der Macht der Mächtigen identifiziert
zu werden, zu diesem Prozess der Selbstbefreiung – einem permanenten
Versuch der Erringung einer kulturell und politisch wirksamen Autonomie
einer wachsenden Zahl, ja letztlich der gesamten um ihre Rechte gebrachten
Bevölkerung – fast schon mit tragi-komischer Notwendigkeit hinzu.
Check...:http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
Check: http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
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