Nora Kaldewey 

Macht, Massenmedien, und das Internet
Was es bedeuten könnte, “Deine Meinung” zu sagen

Zweimal schon las ich mit Interesse die Kommentare von Zuhörern bzw. Zuschauern zu einer Sendung eines „öffentlich-rechtlichen“ Senders. Beide Male wurde ich Zeuge von Interventionen des Senders. Im ersten Fall ging es um die Löschung eines Kommentars, und mehrere Teilnehmer beklagten Zensur, was von Seiten des Senders bestritten wurde. Im zweiten Fall gab es eine Ermahnung, dass nicht zum Thema gehörende Kommentare, statt im Netz zu erscheinen, gelöscht würden, ohne dass die vorliegenden Beiträge einen Anlass für eine derartige Ermahnung erkennen ließen. Die Ermahnung erschien mir im Ton oberlehrerhaft. Sie atmete gleichsam den autoritären Geist „unserer“ Demokratie, die ja eigentlich die ihre ist: die der „Volksparteien“ mit ihren entscheidenden „Machern“ an der Spitze und ihrem bürokratischen und juristischen Apparat. 

Es ist bemerkenswert, dass es in Deutschland nur eine einzige Sendung gab, in der Hörer ohne abklärendes Vorgespräch, ohne Vorauswahl, also ohne „gatekeeper“ und somit als Vorzensur wirkende Hürde sich zu Wort melden konnten, „Hallo Ü-Wagen“. Und dass die neue, seit Pleitgens Weggang CDU-dominierte Spitze des WDR diesem regelmäßigen Sendeplatz den Garaus machte.

Ein kritischer, antifaschistischer Journalist, Axel Eggebrecht, der zu den Radiomachern der ersten Stunde in Westdeutschland gehörte, hat einmal angemerkt, dass schon zu Anfang der 50er Jahre die Parteien die Radiosender fest im Griff hatten und dass damit ein freies, unzensiertes, von der Bürokratie eines parteiendominierten Verwaltungsapparates nicht behindertes und eingeschränktes journalistisches Arbeiten nicht mehr möglich war. 

Neuerdings scheint immerhin das Internet der Bevölkerung die Artikulationsfreiheit zu bieten, welche Presse, Rundfunk und Fernsehen – als ganz wesentlich im Sinne einer Einbahnstrasse „Inhalte“ von den wenigen die Informations- und Meinungsproduktion Kontrollierenden zu den vielen Lesern, Zuhörern und Zuschauern transportierende Massenmedien –  bestenfalls in minimalem und von „Gatekeepern“ kontrolliertem Rahmen bieten.

In Diktaturen wird die Option geschätzt, die man vorfindet, wenn es heißt „Ihre Meinung“ ist gefragt. Wenn also eine Internet-Seite Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, die Möglichkeit bietet, „Ihre Meinung“ kundzutun. Die Möglichkeit dazu wird inzwischen im Internet weltweit offeriert, von den USA bis Russland, von China bis Chile, von San Marino bis Island. Auch in Deutschland.

Aber freuen wir uns nicht zu sehr über diesen Fortschritt. Er ist, was Fortschritt oft zu sein scheint, janusköpfig. Die Option, Your opinion, Ihre Meinung kundzutun, ist letztendlich nur ein Instrument, dass den dominanten gesellschaftlichen Kräften – den Herrschenden, kurz gesagt – müheloser ermöglicht, die Meinung des Volkes zu erfahren. Ob es nun um anstehende Politikvorhaben, welche die Medien diskutieren, ob um die Akzeptanz von durchgeführten Vorhaben, oder um die Resonanz von Werbekampagnen, die für kommerzielle Produkte werben, geht – immer liefern die, welche dank der Möglichkeit, Ihre Meinung auszudrücken, dies auch tun, nichts weiter als das dringend von „denen da oben“ benötigte feedback.

In Krisenzeiten erweist sich ein derartiges feedback als Frühwarnsystem. Über Computerprogramme gesteuerte Abhör- und Ausspähvorrichtungen können nicht nur – auf key words (Schlüsselbegriffe) reagierend, den e-mail und Telefonverkehr überwachen und potentielle Dissidenten identifizieren. Das Interesse gilt auch Facebook und Twitter, gilt den Kommentaren, die auf Internet-Seiten und in Leserbriefen hinterlassen werden, es gilt dem Profil des Internet-Nutzers, der Charakteristik der Internet-Seiten, die sie oder er typischerweise aufruft. Es ist klar, dass in Nordamerika und Westeuropa seit mindestens 1946, 47, 48 (wenn nicht weit früher) immer schon schwarze Listen angelegt wurden. Es ist ein sträflicher Irrglaube, zu vermeinen, dass es heute anders ist. Waren früher Linke automatisch verdächtig – ein SPD-Ministerpräsident von Hessen stand einmal auf einer Liste der „im Ernstfall“ zu Verhaftenden oder zu Ermordenden der NATO-Geheimorganisation Gladio, deren Existenz Andreotti bestätigte – , so sind es heute Altermondisten, Ökologen, Bürgerrechtler, Friedensbewegte, Tierschützer, Anhänger der Befreiungstheologie und andere engagierte Katholiken, „verdächtige“ Ausländer und Angehörige von Befreiungsbewegungen, sofern sie nicht – wie noch in den 90er Jahren die UCK und zuvor die Taliban in Pakistan/Afghanistan – mit dem CIA kooperieren. Die Freiheit, endlich im Internet ausdrücken zu können, was man denkt, ist also für viele eine riskante Freiheit und eine, die den Mächtigen Kenntnisse einbringt, die sie in diesem Umfang und dieser Klarheit über viele von uns zuvor nie hatten. Klar, dass man davon Gebrauch macht. Und in welcher bislang unbekannten Quantität! Die Stasi und der Verfassungsschutz der 50er, 60er Jahre würde blass vor Neid.  Es war einfach aufwendiger, früher, Post abzufangen und Briefe so unauffällig zu öffnen und wieder zu schließen, dass es der Betroffene nicht merkt. Es war personalintensiver. Der technische Ausspähfortschritt hat den Kreis der Ausgespähten explosionsartig und fast schrankenlos erweitert. Geänderte gesetzliche Grundlagen, welche die Bürgerrechte massiv einschränken, sichern diese Praxis rechtlich ab.

Ein Gegeneffekt, eine Gegenfinalität der Überwachungsstrategie, die das Angebot, unsere Meinung im Internet auszudrücken, ohne Zweifel darstellt, ist natürlich auch, dass wir alle – die vielen von einander isolierten Einzelnen – so erfahren, wie „wir“ denken. Wir erfahren also, dass wir nicht allein sind. 

Und mehr noch: wir erfahren auch die ganze Bandbreite unserer Erkenntnisse, Einsichten, der Informationen und Informationsquellen, auf die wir zugreifen können, wenn wir die eingefahrenen Bahnen, die Welt der etablierten Medien, nicht länger privilegieren.

Wir können also deutlich erkennen, wie zweifelhaft die produzierten Informationen und Meinungen der dominanten Medien oft sind. Wie zweifelhaft sie uns vielen – und nicht nur Dir und mir – nur allzu oft aus gutem Grund erscheinen.

Wir bekräftigen so unsere Distanz, unsere Autonomie als denkende Einzelne ebenso wie die Gemeinsamkeit, das Gemeinsame unserer Suche nach neuen Wegen.

Und es ist genau dies, der kritische, auf Überschreitung des Gegebenen, der eingefahrenen Routinen und der Vorurteile, auch in uns selbst, gerichtete Impuls, der uns von der Vorherrschaft der „globalen Fabrik der öffentlichen Meinung“ (José Saramago) befreit.

Vielleicht gehört das Risiko, als Bezweifler des Status Quo und der Macht der Mächtigen identifiziert zu werden, zu diesem Prozess der Selbstbefreiung –  einem permanenten Versuch der Erringung einer kulturell und politisch wirksamen Autonomie einer wachsenden Zahl, ja letztlich der gesamten um ihre Rechte gebrachten Bevölkerung – fast schon mit tragi-komischer Notwendigkeit hinzu.
 
 
 

Check...:http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
 

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