Andreas Weiland

             MILCH

dürre, strohblonde kinder von Glasgow
dockerkinder, putzfrauenkinder
kinder – unglaublich unterernährt noch neunzehnhundert
                           siebenundfünfzig

und wie ist’s heute?
Weiß der himmel!

Ich höre Friderun zu und seh sie vor mir
Friderun die lehrerin
im Glasgow jener tage
kinder
die jahrelang 
                       die schule schwänzten
um dann zu kommen
gierig, glücklich
als es milch gab

Allende, in Chile
hat später 
dieselbe forderung erhoben
im namen der kinder
aus den slums von Santiago
Valparaiso
und Santa Maria de Iquique

Meine mutter
mit acht, mit zehn
hat spucke geschluckt
im klassenversöhnenden
Hitler deutschland
War es  milch  wovon sie träumte?
milch, die die and’ren tranken?
(Sie, die bezahlen konnten...)
Stattdessen putzte sie
das rathaus
mit ihrer mutter
flur für flur und nacht für nacht
Du hättest die vorschwellenden
großen knochen
der handgelenke sehn solln
deformiert
von der nächtlichen kinderarbeit
dem vielen
                    kalten wasser
Die milch  die sie später 
                                          für uns kaufte
war Magermilch
bläulich, wie das putzwasser ihrer kindheit
Neunzehnhundertzweiundfünfzig
hatten in westdeutschland viele kinder noch
rachitische knochen
In England schaffte einen moment später 
die Thatcher
                       als erziehungsministerin
die schulmilch ab
„Thatcher – Milk snatcher“
„Milchdieb!“ riefen die Glasgower kinder
die lehrer schlagen auf ihre hände reißen
an ihren haaren
Die armee sieht viele 
                                     von ihnen wieder
weil’s keine jobs gibt
in Nordengland, in Schottland, in Wales
Man trainiert sie
für die unterdrückung der
milchrevolten
 

(first published in the volume Gedichte aus einem dunklen Land)