Andreas Weiland
DER IRRSINN
halbe kinder mit kaputten mägen
erinnerungen an den hunger
die mit jedem neuen schmerz hochkommen
aus den Dschungelverstecken der
Nacht
kaum über die grenze, wurden
sie
von den soldaten zurückgetrieben
rannten und rannten und rannten
eine kette von kindern
um dann tagelang im wald zu leben
während ihre eltern jetzt
jenseits der grenze
verschollen sind
was ein euphemismus ist
für verhungert
An diesem tag, in Gelsenkirchen
fahren autos an ihnen vorbei
und ein bus bringt sie in neuen
jacken
zum sprachunterricht
wo sie „autokaufen“ lernen
und lachen über „die Irren
von Pnom Penh“
die aus den Stoßstangen von
Lon Nols Cadillacs
schaufeln machten
und aus den reifen
gummi-sandalen für bauern
geeignet zur arbeit, auf den reisfeldern
„16 stunden landarbeit am tag –
welcher irrsinn“
Sie haben recht, die städter
16 stunden sind unglaublich hart
für kinder, gewöhnt an
ein anderes leben
Und doch ist’s als ob sie einen
moment lang
manche gründe des leidens
vergessen haben
(first published in the volume Gedichte aus
einem dunklen Land)
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