Die Krisen, die Politik,
und die Empörung
„Acampados“ jetzt auch in Amerika.
Was ist los – und warum?
„Es scheint, als ob weltweit
die Machteliten wieder erblich würden.“ Das war die Kernaussage des
französischen Soziologen François Dubet, als er im Oktober
2009 von der Süddeutschen Zeitung interviewt wurde.(1)
Dubet spricht von „Machteliten“,
d.h., den politischen Eliten: er nennt Namen wie Debré, Mitterrand.
Der Anlass des Interviews war der Versuch des französischen Präsidenten
Sarkozy, seinen 23jährigen Sohn Jean in eine hohe, Erfahrung verlangende
Position zu hieven. Für den unter anderem auf Elitenforschung spezialisierten
François Dubet war es wichtig, auf die breite, allgemeine Tendenz
hinzuweisen. Es ist seit langem deutlich, dass es sich bei den politischen
Eliten, wenigstens in den westlichen Demokratien, um Cliquen handelt, ingroups,
old boys’ networks, gut vernetzte, kleine Seilschaften oder Führungsequipen,
die sich in den politischen Parteien herausgebildet haben und die sich
durch Kooptation ergänzen. Verlierer werden in die zweite Reihe zurückgenommen
oder ganz abserviert. Doch im wesentlichen gibt es eine erstaunliche Kontinuität.
Dementsprechend kommt es manchmal auch in den großen Parteien, z.B.
in Deutschland, zu Klagen, dass sie nicht viele medial aufgebaute „Zugpferde“
haben, die in die Bresche springen können, wenn alte „Schlachtrösser“
verbraucht sind. Diese Leute dominieren den Kurs „ihrer“ Partei; sie machen
in der Praxis, wenn auch nicht formal, innerparteiliche Demokratie weitgehend
zu einer Farce.
Die Querverbindungen dieser politischen
„Machtelite“ zur „Wirtschaft“ sind offensichtlich. In den USA spricht man
von der revolving door, der Drehtür. Ein Politiker wie Schröder,
dem der gesellschaftliche Aufstieg zum Rechtsanwalt, dann innerhalb der
SPD in die Führungsgruppe und schließlich bis zum Kanzleramt
gelang, wechselte ohne weiteres hernach zu Gasprom; der ehemalige hessische
Ministerpräsident Koch ging zu Bilfinger & Berger; Clement
suchte sein Heil im Schoß der Energiewirtschaft. Die Medien geben
uns ohnehin nur dürftige Informationen; wir erkennen, in vagen Umrissen,
die Spitze des Eisbergs. Was aber deutlich wird, ist die Nähe der
beiden Sphären „Politik“ und „Wirtschaft“; eine Nähe, die von
beiden Seiten in vielen Fällen, ja in der Regel gesucht wird. Das
führt zu Vertrautheit, wenn nicht Komplizität. Wer profitiert?
In den USA wird das anhand der Parteienfinanzierung diskutiert. Beide Seiten
profitieren: Durch Spenden, und oft auch durch „Vergünstigen“ (wie
zuletzt wieder im Air Berlin Fall), die der Wirtschaft verlässlich
erscheinenden Politiker, soweit sie in ihrer Partei bzw. in der Regierung
Einfluss haben – und die Parteien selbst natürlich auch. Durch
günstige Rahmenbedingungen, welche „die Politik“ schafft – und manchmal
auch durch öffentliche Aufträge – profitiert zugleich,
und finanziell in der Regel wohl um ein Vielfaches mehr, die andere Seite:
die des „Partners“ bzw. der „Partner“ in der „freien Wirtschaft“. Wenn
also ein Ministerpräsident Koch sich für den Ausbau des Frankfurter
Flughafens einsetzte, mit dessen Realisierung Bilfinger & Berger betraut
wurde, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Laufzeitverlängerung
von AKWs mit den Konzernbossen der vier großem Energiekonzerne verhandelnd
sich deren Anliegen gegenüber so ausgesprochen „aufgeschlossen“ zeigte,
dass die kritische Öffentlichkeit perplex war, wenn Ende 2009
ein Minister Röttgen den „ehemaligen EON-Lobbyisten Gerald Hennhöfer“
zum „neue[n] Chef der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium“
zu machen beabsichtigte, so spricht das, wie man so schön sagt, Bände.(2)
Nun ist Macht, verfassungsmäßig
gelegt in die Hände gewählter Politiker, nicht die einzige Form
gesellschaftlicher Macht. Zweifellos gibt es so etwas wie mediale Macht
und mediale Machtkonzentration, die den Besitzern großer Medienimperien
(denken wir nur an Murdoch, an Berlusconi, an BILD und den Springer-Verlag,
an die Eigner der WAZ Gruppe, usw.) erheblichen Einfluss gewährt.
Und es gibt – noch entscheidender vielleicht – die Macht jener anderen
großen Konzerne: der Finanzkonzerne mit Beteiligungen und Stimmrecht
in Industriekonzernen und der Industriekonzerne wie General Electric, Siemens,
Volkswagen usw., von denen man oft sagen konnte, sie seien eigentlichen
Banken mit angeschlossener Produktionsabteilung. Und vergessen wir auch
nicht die großen Handelskonzerne (in Deutschland unter anderem verknüpft
mit Namen wie Albrecht, Haniel, Otto). Oder z.B. jene Stahlproduzenten
vom Schlage Thyssen-Krupp, bei denen der Stahlhandel seit langem neben
die Stahlproduktion getreten ist; schon in den 1960er Jahren nämlich
importierte Krupp vergleichsweise billig produzierten Massenstahl aus Nordspanien
für den deutschen Markt (damals besonders für die Nachfrage aus
der Bauwirtschaft) – statt bestimmte Produkte selbst vor Ort im Ruhrgebiet
herzustellen. Offensichtlich sind in nicht wenigen Fällen die Verdienstspannen
im Handel höher als in der Produktion, was auch das große Interesse
westlicher Konzerne nicht nur am Auslagern der Herstellung von „Teilen
und Komponenten“ (parts and components), sondern auch an Fertigwaren-Importen
aus der sogenannten Dritten Welt – zumal aus China – erklärt.
Und zwar ungeachtet der Deindustrialisierungs-Effekte in den „alten Industrieländern“
und der daraus resultierenden gesamtgesellschaftlich zu Buch schlagenden
sozialen Kosten.
Die wirtschaftliche Macht dieser
großen, international operierenden und sich international finanzierenden
Konzerne, in deren – nach wie vor meist von national dominiertem Top-Management
definierter – Unternehmenspraxis nicht selten geschäftliche Aktivitäten
in der sogenannten „realen Wirtschaft“ neben solchen in der sogenannten
„spekulativen“ stehen (wobei natürlich auch Produktionsentscheidungen
ein gewisses spekulatives Moment nicht abgesprochen werden kann, wird doch
mit ihnen auf die Aufnahmefähigkeit von Märkten und auf die Akzeptanz
von Produkten „gewettet“) ist zweifellos erheblich. Sie ist so erheblich,
dass koordinierte Strategien von Konzernen Regierungen in die Knie zwingen
können. Man denke an vergangene „Beispiele“ wie jene große,
sozial unglaublich destruktive Finanzkrise, die als East Asian financial
crisis bekannt wurde und die von Indonesien und Thailand bis Süd-Korea
fast ganz Südost- und Ostasien traf.(3)
Oder
an die erfolgreiche Spekulation international operierender Hedgefonds (eine
herausragende Rolle spielte damals ein von Soros geleiteter Fond) gegen
das britische Pfund. Oder an die Obstruktionshaltung der französischen
Unternehmer gegenüber der ersten Mitterrand-Regierung, die Mitterrand
dann zu einem Kurswechsel veranlasste.
Die Entscheidungsbefugnisse politischer
Eliten existieren natürlich. Dass diese politischen Eliten zu einem
Objekt der Einflüsterungs- und Verführungskünste der Wirtschaftseliten
werden, ist gerade deshalb nicht verwunderlich. Man versucht, seitens der
Unternehmerschaft oder bestimmter Fraktionen derselben (Finanzbranche,
Rüstungsindustrie, Atomindustrie, Autoindustrie, Chemieindustrie,
Bauwirtschaft usw.) die großen Linien der Wirtschafts- und Sozialpolitik
zu beeinflussen. Und gewiss auch die Rahmenbedingungen (Verwertungsbedingungen)
einzelner Branche. Und man versucht, im Interesse eines einzelnen Konzerns
für diesen Vorteile zu erzielen. Als Helmut Kohl Bundeskanzler war,
hat – wie Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung schreibt –
„[d]er Flick-Konzern [...] in Zusammenhang mit einer erhofften Steuerbefreiung
in dreistelliger Millionenhöhe“ [damals eine riesige Summe! ] die
Bonner Landschaft gedüngt“ – und zwar in Form illegaler Parteispenden.(4)
Derartige Praktiken sind in allen westlichen Demokratien üblich; sie
sind nicht „pure Vergangenheit“ oder gar einmalige Ausnahmen, und nur ein
Bruchteil von ihnen kommt ans Licht. Aufklärer, Aufdecker in der öffentlichen
Verwaltung müssen damit rechnen, ihre bescheidenen beruflichen Karriere-Aussichten
zu ruinieren und unter Umständen als paranoid abgestempelt zu werden.
Politik und „Wirtschaft“ kämpfen in solchen Fällen mit harten
Bandagen, und von Gerichten ist nicht unbedingt viel zu erwarten.
Leyendecker weist allerdings
auf etwas hin, das in seiner Bedeutung weit über den Fall des Flick-Parteispenden-Skandals
hinausgeht. Er deutet an, es habe noch weit mehr und strategisch Bedeutsameres
gegeben als die einmalige oder gelegentliche, aus konkretem Anlass zwecks
konkreter Einflussnahme erfolgende Zahlung hoher illegaler Parteispenden.
Und er deutet auch an, dies habe offenbar nicht nur zur Praxis jenes von
Brauchitschs gehört, der Konzerne wie den Flick-Konzern,
Krupp, BP oder Henkel „beaufsichtigte und beriet“.(5)
Leute
wie von Brauchitsch, als Vertreter von Firmen agierend, „statteten Politiker
mit Barem aus, sie ölten mit Geld die Parteiapparate und kümmerten
sich sogar um die parteinahen Stiftungen“ – also z.B. die Konrad-Adenauer-Stiftung
der CDU und die Friedrich-Ebert-Stiftung des SPD, die Mitte der 70er Jahre
ihrerseits erhebliche Mittel an spanische Schwesterparteien transferierten,
um dort die sogenannte transición vom Franquismus zur Demokratie
im rechten Sinne zu beeinflussen, also den Einfluss derer zu schwächen,
die den Widerstand gegen das Franco-Regime getragen hatten, aber über
nur geringe finanzielle Mittel für Wahlkampagnen danach verfügten.
Leute, die wie Brauchitsch als Chefmanager des Flick-Konzerns agierten,
„versuchten, sich Politiker durch Geschenke oder Betreuung auf Auslandsreisen
gewogen zu machen, den Einfluss der Linken in den Parteien [zumal in der
SPD, aber wohl auch der Linksliberalen in der FDP] zu neutralisieren“ und
der Wirtschaft „genehme Nachwuchspolitiker zu fördern.“(6)
Eine solche Förderung hatte die BASF offenbar bereits dem jungen Helmut
Kohl gewährt – einem BASF-Angestellten, den der Konzern ermutigte,
in die Politik zu gehen: zuerst in Rheinland-Pfalz, dem primären Standort
des Konzerns, dann auf Bundesebene. Man darf davon ausgehen, dass der Konzern
die Karriere des jungen Politikers engagiert begleitete. Keine Ausnahme,
sondern die Regel vermutlich. Erklärt sie den Rechtsdrift in manchen
Parteien – einschließlich der neo-liberalen Wende der SPD? Vielleicht
sogar manches an der Entwicklung der Grünen, hin zu immer größerer
Marktgläubigkeit und zum Mittragen des Sozialabbaus unter dem Kanzler
Gerhard Schröder? Und wer möchte glauben, dass diese Praxis der
Einflussnahme auf „die Politik“, also die politische Klasse, ein Übel
der Vergangenheit sei, sieht man, wie unverfroren ein großer, in
Deutschland seinen Firmensitz habender Konzern sich erst kürzlich
noch die Kooperationsbereitschaft eines Gesamtbetriebsrats- Vorsitzenden
kaufte, und wie selbstverständlich ein anderer großer Konzern
hohe Beträge aufwandte, um kooperierenden Personen den Aufbau und
die Führung einer Pseudo-Gewerkschaft zu ermöglichen. Korruption
ist für „die Wirtschaft“ offenbar ein Instrument unter anderen, das
skrupellos eingesetzt wird, als heilige der Zweck, die Profite zu steigern,
die Mittel. Werden nicht nach wie vor „der Wirtschaft“ genehme Kandidaten
gefördert und unterstützt und Personen, die „der Wirtschaft“
nahe stehen, zum Eintritt in die Politik „ermutigt“?
Die Parteien, so wie sie heute
in der Regel existieren, sind vor allem Apparate zur Eroberung von „politischer
Macht.“ Und sie dienen zugleich auch der Sicherung von Pfründen, selbst
wenn letzteres für die „Chefs“ in den Parteien – Menschen, die machtfixiert
sind – nicht ganz die Bedeutung haben mag wie für viele, die den Kurs
dieser „Chefs“ mitzutragen geloben. Die „Ideologie“ wird dadurch tendenziell,
zumindest in den einst als links geltenden Parteien (wie der SPD in Deutschland,
der PS in Frankreich, der PASOK in Griechenland, und der PSOE in Spanien)
zu leerer Rhetorik. Fast alles „historisch“ das „Erbe“ dieser Parteien
Ausmachende wird austauschbar, oft auch ganz und gar obsolet. Es
wundert nicht, wenn – angesichts des österreichischen Korporatismus
und des Parteienproporzes – der Dichter Ernst Jandl schon vor einigen
Jahrzehnten ironisch von „lechts und rinks“ sprach. Kürzlich sagte
ein arabischer Kulturwissenschaftler mir, was viele längst denken:
In Europa haben die Begriffe links und rechts ihre Berechtigung verloren.
Er meinte: Hollande, Royale, Sarkozy – wofür sie stünden,
das sei nahezu ununterscheidbar. So wie in der Praxis die Außenpolitik
von George W. Bush und Barack Obama sich nur – in zwar signifikanten –
Details unterscheidet. Die Unterschiede zwischen den großen, sich
an der Regierung abwechselnden Parteien sind derart gering geworden, dass
Teile der Bevölkerungen keinen Unterschied mehr sehen und sich für
den Abstentionismus bei Wahlen entscheiden.(7)
Das gilt für einen großen Teil der jungen Leute. Es gilt für
die meisten „arbeitenden Armen“ (die „working poor“, sagt man in den USA).
Und es gilt für den übergroßen Teil der Marginalisierten,
der Ausgeschlossenen – also im wesentlichen für das Gros der
Hartz IV-Empfänger (bzw. welfare recipients).
Auch der derzeit zu beobachtende
Lebensstil und die Einkommens- und/oder Vermögensverhältnisse
nicht weniger Führungskader der großen politischen Parteien
geben vielen Menschen in einfachen Verhältnissen zu denken. Das Vermögen
von Nancy Pelosi, der liberalen Vorzeigefrau der – von manchen Republikanern
fast schon als „sozialistisch“ oder „sozialdemokratisch“ betrachteten Demokratischen
Partei – belief sich vor wenigen Jahren auf deutlich über 200 Millionen
Dollar. Mag sein, dass es seither nicht gewachsen, sondern in der Finanzkrise
geschrumpft ist. Aber worin unterscheidet sich ihre ökonomische Situation
von der eines Cheney, oder der beiden Bushs? Ganz ähnlich sieht es
aus bei so vielen anderen: bei Mc Cain, Kerry, Mitt Romney, Herman
Cain, Bloomberg und wie sie alle heißen. Kein Wunder, dass Kritiker
von einer Plutokratie in den USA sprechen. Und die Aufsteiger aus bescheidensten
Verhältnissen, wie Barack Obama – oder Schröder, in Deutschland,
die in den angeblich „links der Mitte“ zu verortenden Parteien deren „volksnahes“
Image bekräftigen sollen? Wie hoch war eigentlich das vom Ehepaar
Obama im Jahr vor der Kandidatur für das Präsidentenamt angegebene
Einkommen? Ich erinnere mich an mehrere Millionen Dollar. Kann sein, dass
es zwei Millionen waren, aber vermutlich mehr. Ein teures Haus in einem
guten Wohnviertel Chicagos (Hyde Park) kam als Vermögen hinzu. Das
ist im Vergleich zu den Bloombergs, Bushs und Pelosis bescheiden – aber
es liegt doch himmelhoch über den Durchschnittslöhnen. Und Strauss-Kahn,
vor seinem Debakel in New York der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat
der französischen Sozialisten? Stefan Ulrich notiert in der Süddeutschen
Zeitung, dass sein „Lebensstil [...] nicht recht zum Arbeiterführer
zu passen schien: das Haus im schicken Washingtoner Stadtteil Georgetown,
das Ferienpalais in Marrakesch, das Riesen-Appartement an der legendären
Pariser Place des Vosges [...]“.(8)
Kein Wunder, dass solche Politiker – führende Figuren einst als progressiv
eingeschätzter Parteien – nicht mehr wissen, wie die Leute in „einfachen
Verhältnissen“ leben.
Aber auch die Höhe der Diäten
und sonstigen Einnahmen durchschnittlicher Abgeordneter in Ländern
wie Deutschland – ebenso die der „Europa-Abgeordneten“ – ist enorm. Verliert
man so, in vielen Fällen, die Bodenhaftung? Wie klar ist Amtsträgern
der politischen Parteien, die 7000, 8000, oder 17.000 Euro im Monat bekommen,
wie klar ist auch Gewerkschaftsführern, die z.T. über 30.000
Euro im Monat kassieren, was es heißt, als Arbeitsloser, früh
erwerbsunfähig Gewordener oder alter Mensch mit kleiner, unter dem
Sozialhilfeniveau liegender Rente in einer deutschen Großstadt in
einem kleinen Zimmer mit Kochnische, oft in einem heruntergekommenen, feuchten,
schlecht isolierten Altbau, zu hausen und von ca. 360 Euro im Monat, die
verbleiben, wenn die Kaltmiete gezahlt ist, leben zu müssen?
Und wir wissen, dass arbeitende Menschen in Niedriglohn-, Teilzeit-, Leiharbeits-
und ähnlichen Jobs in vielen Fällen nicht wesentlich besser dastehen...
Die politische Klasse oder große
Teile von ihr scheint das nicht weiter zu interessieren. In Deutschland
hat noch jeder Antrag auf Diätenerhöhung eine gute Chance. Und
die „Austeritätspolitik“, die Erhöhungen der Mehrwertsteuer und
Heraufschrauben des Renteneintrittsalters (was bei der gegebenen Situation
auf dem Arbeitsmarkt ohnehin auf eine de facto Rentenkürzung hinausläuft)
– das alles wurde mit einem Achselzucken entschieden. O ja, die beamteten
Lehrer und die anderen Beamten und die vielen Rechtsanwälte,
die als Volksvertreter im Parlament sitzen, trifft eine Rentenkürzung
ja nicht. So können sie beruhigt der neoliberalen „Vernunft“ ihren
Tribut zollen. Wie viele Industriearbeiter (ich meine solche, die nicht
schon seit vielen Jahren freigestellte Betriebsräte waren, oder hauptamtliche
Gewerkschaftsfunktionäre), wie viele Verkäuferinnen, Friseusen,
Krankenschwestern, wie viele LKW-Fahrer, Lokführer, Schaffner sitzen
eigentlich als Abgeordnete im deutschen Parlament? Man wird lange suchen
müssen. Auch nach kleinen Selbständigen wird man vielleicht vergebens
suchen, oder nach Eigentümern von Höfen, die sich kaum über
Wasser halten angesichts der Agrarpolitik zu Gunsten der „Großen“.
Kein Wunder, wenn mancher denkt: „die da oben, wir hier unten“. Und: „Die
machen ja doch, was sie wollen.“ Kein Wunder auch, dass man diesen relativ
Privilegierten eine fast schon spontan zu nennende Nähe zu den „wirklich
Privilegierten“ unterstellt.
Die „wirklich Privilegierten“,
das sind – auch in den Augen des „blöden“, für „dämlich“
gehaltenen Volks der „kleinen Leute“ – die Wirtschaftseliten. Auch
für sie trifft, trotz aller Dynamik der Märkte, trotz der Selbstmorde
von ein paar „Superreichen“, die vielleicht alles verzockt haben (wie der
Besitzer von Ratiopharm?) und trotz des Erfolgs jener Neureichen, die vom
Telefonisten in Buenos Aires zum Tankerkönig aufsteigen, im wesentlichen
zu, was Dubet über die politischen „Machteliten“ sagte. Reichtum ist
erblich, Wirtschaftsmacht vererbt sich meist. Es ist offenkundig, dass
die „Wirtschaftseliten“ im 20. Jahrhundert, und zweifellos bis heute,
eine große Kontinuität aufwiesen, trotz des Aufstiegs eines
Onassis oder Gates in die „erste Liga“.(9)
Wir wissen, dass ein winziger Teil der Bevölkerung die großen
Vermögen kontrolliert, dass solche Vermögen nicht „erarbeitet“,
sondern geerbt werden und dass im Einzelfall die mehr oder minder
erfolgreichen Kapitalverwertungsstrategien, insgesamt jedoch die „Logik“
der Märkte und deren politische Rahmenbedingungen über Art und
Umfang der Vermehrung – manchmal auch Verminderung – dieser vererbten Vermögen
entscheiden.
In den 70er Jahren bemerkte ein
Freund aus Guatemala, dass in seinem Heimatland – aber auch in vielen anderen
Ländern Zentral- und Südamerikas die „Eliten“ zuhause oft nicht
mehr Spanisch, sondern Englisch sprechen, dass ihre Söhne in West
Point oder an US-amerikanischen „Eliteuniversitäten“ ausgebildet werden,
dass in Ländern wie Kolumbien Radio- und Fernsehsender existierten,
die für dieses Publikum auf Englisch senden usw. Was er berichtete
– Indizien der Besonderheit und Abgesondertheit einer „Elite“, wie sie
schon damals vielleicht nicht nur im oft „lateinamerikanisch“ genannten
Teil der westlichen Hemisphäre existierte – kann man als Ausdruck
kultureller Entfremdung verstehen. Die soziokulturelle Realität dieser
Gruppe, die man vielleicht als Teil oder sogar Kern einer herrschenden
Klasse bezeichnen kann, war eine andere als die Welt der kleinen Selbständigen,
der Angestellten und Arbeiter, der Handwerker, Lehrer, der Kleinbauern
und der Landarbeiter. Andrian Kreye zitiert in der Süddeutschen Zeitung
den Wirtschaftsjournalisten Robert Frank, der im Wall Street Journal die
US-amerikanische Wirtschaftselite, die Kreye auch die Superreichen nennt,
wie folgt beschreibt: „Sie haben eine eigenständige Welt für
ihresgleichen geschaffen, mit einem eigenen Gesundheitssystem, eigenem
Reisenetzwerk, einer separaten Wirtschaft. Die Reichen wurden nicht nur
reicher, sie wurden zu finanziellen Ausländern, die ihr eigenes Land
innerhalb des Landes schufen, ihre Gesellschaft innerhalb der eigenen Gesellschaft.“(10)
Diese „Elite“ hat sich abgekoppelt.(11)
Ihr Lebensstil redupliziert in seiner Ubiquität oder „Internationalität“
ihre investment practice, ihre Weise, zu investieren. Trafen sich diese
„Superreichen“ – aber auch Figuren wie Henry Kissinger und der alte Fonda,
der Vater von Jane – nicht am liebsten an Orten wie Bariloche? Ist nicht
heute bei diesem „jetset“ Marrakesch angesagt? Und nach wie vor, bei einigen
wenigsten, Aspen, Vail, Jackson Hole? Oder Monaco? Auch die gated communities,
die verbarrikadierten, von Sicherheitsdiensten bewachten Wohnviertel, in
die kaum ein normaler Sterblicher ohne triftigen Grund (etwa als Lieferant)
Einlaß findet, sind eine Erfindung dieser Klasse. Inzwischen haben
sich diese abgeschotteten „Viertel der Reichen“ von den USA ausgehend in
nahezu der ganzen Welt, bis nach Indonesien, verbreitet. Selbst die Angst
und das paranoide Sicherheitsbedürfnis dieser Klasse ist ein allgegenwärtiges
Faktum. Erklärt es die Besessenheit, mit der diese „Elite“ auf Überwachung
der normalen Bevölkerung insistiert – und das fast in jedem Land?
Wirtschaftswissenschaftler wie Mohamed Dowidar betonen nicht von ungefähr
die Internationalisierung des Kapitals als Kernmerkmal der sogenannten
Globalisierung. Gleichzeitig „internationalisiert“ sich eine „Elite“ –
und weil ihr Lebensstil außerhalb der USA auch als Ausdruck einer
„Amerikanisierung“ verstanden wird, wirkt das oft als ungeheuer US-amerikanisch,
ist aber dennoch Lichtjahre entfernt von jeder Weise, zu leben, die man
bei Menschen in den USA, die nicht dieser Schicht oder Gruppe angehören,
entdecken kann.
Der Elitenforscher Michael Hartmann,
der sich nicht auf die Realität der L’Oreal oder Heinz Ketchup Erbinnen
kapriziert, sondern vor allem auf die „Topmanager“ einen kritischen Blick
wirft, weiß, was schon Max Weber, Kocka und andere wussten, und was
Dagmar Deckstein, wieder in der Süddeutschen Zeitung, so zusammenfasst:
„Eliten rekrutieren sich vorwiegend unter ihresgleichen, man ‚erkennt’
sich am großbürgerlichen Habitus und Gestus.“(12)
Das bestätigt wieder, was Dubet sagt, nur das letzterer offensichtlich
Verhaltenskonjunkturen und Konjunkturen bezüglich des Grads der Offenheit
oder Abgeschlossenheit von „Eliten“ annimmt. Es scheint ja, zwar nicht
bei den Eigentümern der supergroßen Vermögen, aber bezüglich
des angestellten Führungspersonal (also hinsichtlich der Topmanager,
der Uni-Präsidenten, der Chefredakteure wichtiger Medien) eine Phase
größerer Offenheit, größerer Bereitschaft, Aufsteiger
aus dem Kleinbürgertum und sogar der working class zu kooptieren,
gegeben zu haben. Eine Phase, die um so schneller zuende ging, je mehr
die Demokratisierung des Bildungswesens in eine vom Markt nicht absorbierbare,
mithin Über-Produktion von Universitätsabsolventen führte.
Und zwar, wegen des Stipendiensystems, selbst bei solchen Absolventen,
die an teuren „Eliteuniversitäten“ studiert hatten. Sodass wieder
stärker – und möglicherweise mehr denn je – „Beziehungen“
innerhalb der Gruppe der etablierten „Elite“-Angehörigen bei der Besetzung
sogenannter Führungspositionen in der „Wirtschaft“ und auch im Kultur-
sowie Mediensektor ausschlaggebend sind. Eben diese zunehmende Tendenz
der „Eliten“, sich abzukapseln, meint Dubet, wenn er von einem „wieder
erblich werden“ spricht.
Andere sprechen polemisch von
„Feudalisierungstendenzen“ und sehen in dem Rebellieren dagegen einen Vorgang,
der mit gutem Recht mit dem Aufbegehren gegen die Verhältnisse des
ancien régime im Frankreich des 18. Jahrhundert verglichen werden
könnte. Natürlich war das meritokratische Denken, als es nach
1918 in Europa und vor allem seit dem New Deal in den USA an Boden gewann,
Ausdruck einer sozialdemokratischen Ideologie, deren leichtfertiges Beschwören
der Wunderwirkung der „Chancengleichheit“ heute von Kritikern in Frankreich
als illusionär entlarvt wird. Für ein Immigrantenkind in der
banlieue, dem formale Chancengleichheit mit dem Kind eines Industriellen,
eines Professors oder Arztes zugesprochen wird (denn wenn es in der Schule
und an der Universität, sofern es sie erreicht, genug leiste, stünden
ihm alle Türen offen), muss das Versprechen wie Hohn klingen. Ganz
so, als bestünde Chancengleichheit beim 100 m Lauf zwischen einem
kleinen Jungen und einem Weltklasse-Sprinter. Je mehr die Losung Liberté,
egalité, fraternité ernstgenommen wird, um so mehr entdeckt
man im Versprechen der Chancengleichheit eine für konkurrenzgetriebene
Gesellschaften typische Chimäre. Letztlich läuft das hinaus auf
die Rechtfertigung der Vererbbarkeit von Benachteiligung und Ausschluss,
die sich fortsetzen von Generation zu Generation. Und es belastet zugleich
jede Generation von Benachteiligten mit Schuldgefühlen, oder
erhöht zumindest das sozialpsychologisch fundierte Risiko, dass man
sich als Benachteiligter Vorwürfe, ein Versager zu sein, zueigen macht.
In Spanien ist es übrigens nicht nur das Immigrantenkind aus der Vorstadt,
dem das Versprechen der Chancengleichheit nichts nützt. Die letzten
Eurostat-Daten besagen, dass 45 Prozent der jungen Leute im Alter bis 25
Jahren keine Arbeit finden. In anderen westlichen Demokratien ist die Tendenz
ähnlich. In Deutschland schiebt man arbeitslose junge Leute mithilfe
der theoretischen Schulpflicht bis 18 in fragwürdige Warteschleifen,
oder motiviert sie, Lehrstellen anzunehmen, bei denen man nichts
lernt: etwa als Kassiererin oder als Regaleinräumer im Supermarkt.
Dennoch liegt die Quote der Arbeitslosigkeit junger Leute hier bei mindestens
25 Prozent. Und wer Arbeit findet – das betrifft inzwischen auch Akademikerkinder,
die selbst einen Hochschulabschluß haben – findet oft statt bezahlter
Jobs nur unbezahlte Praktika, oder hangelt sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag
weiter: ohne Sicherheiten, ohne Chancen einer soliden Lebensplanung, ohne
die Möglichkeit, anders als auf äußerst prekärer materieller
Grundlage feste Bindungen einzugehen. Diese qualifizierten „Mittelschicht-Angehörigen“
erfahren so, was für das „Proletariat“ im 19. Jahrhundert oder in
der Weimarer Republik immer schon „Normalität“ war. Erst die Jahre
sozialdemokratischer Reformen nach dem Zweiten Weltkrieg trugen ja in Westdeutschland
ein gewisses Maß an „Sicherheit“ in die Arbeiterexistenz. Das
ist längst wieder im Schwinden, wenn nicht ganz verflogen. In einem
gewissen Sinne haben heute prekäre – von Unsicherheit geprägte
– Verhältnisse auf breiter Front nicht nur die Arbeiter in den Fabriken,
sondern auch die sogenannte Mittelklasse, also white collar workers, das
Kleinbürgertum und die weniger betuchten Teile der Bourgeoisie erreicht.
Slogans wie „Wir sind die 99 Prozent“, in New York gerufen
von wachen, klugen jungen Leuten – nicht wenige Studenten und Hochschulabsolventen
sind offenbar darunter – fallen nicht vom Himmel. Es hat viel mit
sozioökonomischen Entwicklungen zu tun, deren Effekte kritische Denkprozesse
befördern.
Die ökonomische Verunsicherung
der großen Bevölkerungsmehrheit hat teils verschiedene, teils
ähnliche Auswirkungen bei den diversen gesellschaftlichen Subjekten,
die sich nicht den „Eliten“ zurechnen können. In den USA haben sich
als Folge der Deindustrialisierungs-Tendenzen im Nordosten des Landes und
der farm crisis Frust und Wut bereits in den Clinton-Jahren eine Bahn gebrochen.
Unter anderem in Gestalt der Christlichen Rechten (Christian Right) sowie,
militanter noch, in Gestalt der militia Bewegung, die dann durch das Attentat
in Oklahoma City relativ erfolgreich diskreditiert wurde.(13)
In
den letzten Jahren ist es zuerst die Tea Party Bewegung gewesen (eine Bewegung,
die vor allem verankert ist unter den zur Republikanischen Partei hintendierenden
Wählern, darunter kleine Selbständige, Kleinunternehmer, Farmer,
auch Arbeiter), welche auf eine dumme, oft äußerst demagogische,
von den Murdoch dienenden Kommentatoren bei Fox etc. angeheizte Weise
den in der Bevölkerung weit verbreiteten Frust und die zweifellos
vorhandene Wut und Empörung kanalisierte.(14)
Der Verlust von Industriearbeitsplätzen, die schon seit den 70er Jahren
zurückgehenden Reallöhne in der Industrie, die Schwächung
der Gewerkschaften und die wahrgenommene Unfähigkeit derselben, Angriffe
auf den Lebensstandard der Industriearbeiter und überhaupt der durchschnittlichen
Beschäftigten abzuwehren, nicht zuletzt die Erkenntnis, dass das NAFTA-Abkommen
die Position der US-amerikanischen Arbeiter schwächte, führten
in Teilen der Arbeiterklasse zu einer nicht mehr nur latenten feindseligen
Haltung gegenüber Arbeitsmigranten, vor allem solchen aus der sogenannten
Dritten Welt. Auch in Europa ist die Xenophobie gewachsen, latenter und
offener Rassismus wieder deutlicher spürbar. Die Schwedenpartei, die
Wahren Finnen, die jüngsten Entwicklungen in Ungarn, das sind nur
einige der diesbezüglichen Symptome.
Wenn in den USA Teile der sich
vom Abstieg bedroht fühlenden sogenannten middle class und nicht wenige
Arbeiter und Farmer den rechten Populisten auf den Leim gingen, so brach
sich die Wut in Europa in Form militanter Streiks in Frankreich und Italien
zuerst Bahn. Es war eine Wut über den Sozialabbau, verschlechterte
Arbeitsbedingungen, stagnierende und sinkende Reallöhne sowie hohe
Arbeitslosigkeit. Hinzu kam die helle Empörung, welche diverse, Arbeitsplätze
gefährdende Privatisierungsvorhaben auslösten. Auf die Streikwellen
folgte in Frankreich die Revolte in den banlieues – auch sie gespeist von
Wut, gekoppelt mit dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, dem Gespür,
abgeschrieben zu sein. Sie war blind, die Wut – aber verständlich,
gerade auch, wo sie, entfacht von der Schickanerie und dem Rassismus
mancher Beamten, aufflammte in nicht wenigen der Einwandererjungs in den
Vorstädten. In Deutschland kam es zu Montagsdemos, vor allem in den
Neuen Ländern und im Ruhrgebiet. Anja Röhl schreibt in der Jungen
Welt: „Es wächst eine Klasse, die alles verloren hat, nichts mehr
produziert, kaum ihre Einraumwohnungen verlässt, im Ganzen überflüssig
scheint, deren Wut aber [...] zu bemerken ist.“(15)
Das muss nicht unbedingt Gutes bedeuten. Dieser Zug, gewinnt er an Fahrt,
kann sich in diese oder jene politische Richtung in Bewegung setzen. Einige
Politiker haben bereits davor gewarnt, dass das Umsetzen der Agenda-Politik,
zuerst durch die Schröder-, heute durch die Merkel-Regierung, wie
in den 30er Jahren faschistischen Kräften Auftrieb geben kann. Das
mag stimmen oder nicht. Die neuen Rechtspopulisten sind nicht ungefährlich
(das schrieb u.a. ein norwegischer ehemaliger Ministerpräsident dem
britischen Kollegen Cameron ins Stammbuch) – und ihr Rechtspopulismus reicht,
wie die Beispiele Sarrazin (in Berlin) und Koch (in Hessen!) zeigen, bis
in die großen Parteien.
Gesellschaftlich produzierte
Dummheit, gepaart mit Frust und Wut, ist ein gefährlicher Nährboden.
Aber es gibt, zumal unter den jungen Leuten, die wach und gesellschaftlich
engagiert sind, eine starke Gegentendenz. Ein wenig Frust, bisweilen auch
Wut, mehr noch Empörung, allerdings gekoppelt mit kritischem Fragen
und Suchen nach Antworten auf erkannte Probleme, kennzeichnete die „indignados“,
die im Mai dieses Jahres – inspiriert von der „Revolution“ in Tunesien
und Ägypten – in vielen Städten Europas auf die Straße
gingen. Am massenhaftesten und sehr inspiriert in zahlreichen spanischen
Städten und in Athen. Inzwischen, ein halbes Jahr später,
erfasst eine spontane Bewegung gesellschaftskritischer „Empörter“
auch US-amerikanische Städte: es ist keine reine Jugendbewegung und
auch keine Studentenbewegung. Dazu sind dann doch zu häufig Ältere,
sogar ganz alte Menschen, unter den vielen jungen Leuten zu sehen. Und
kürzlich sind auch Gewerkschafter und Professoren zu ihnen gestoßen;
Künstler unterstützen ihre Sache. Wird es eine Minderheit im
Land bleiben – oder dreht sich der Wind? In Stuttgart gingen vor fast genau
einem Jahr 150.000 Leute (zumeist Stuttgarter) auf die Straße. Die
Haltung der etablierten großen Parteien brachte sie dazu, dass sich
im Widerstand gegen ein fragwürdiges, anti-ökologisches, von
spekulativen Interessen getriebenes Großprojekt ihre Forderungen
bald auch auf Grundsätzliches ausdehnten. So forderten plötzlich
viele eine erweiterte, realere, direktere Demokratie. Die Menschen
in Europa wie in den USA misstrauen in ihrer Mehrheit der politischen Klasse.
Und längst auch den wirtschaftlich Mächtigen. Auf Deutschland
bezogen, stellt Lara Fritzsche in der ZEIT, sich auf eine Gallup-Umfrage
stützend, fest: „Über 70 Prozent der Deutschen halten die Führungskräfte
in Politik und Wirtschaft für ‚unredlich’“.(16)
In den USA sagt man es volkstümlicher. Viele sagen einfach: Das sind
„crooks“, Gauner. Es ist ein Urteil, das viel sagt über die Distanz
zwischen Mächtigen und Machtlosen, von denen so viele schon längst
ihre Ketten spüren. Beginnen aber in diesem Moment des Bewusstseins
der sich verschärfenden ökonomischen, ökologischen und sozialen
Krise nicht immer mehr Menschen, nach Wegen zu suchen, die es möglich
machen, die Ketten abzuwerfen? Man wird es bald sehen.
Anmerkungen
(1) Jeanne Rubner, „Niveau der Lächerlichkeit“
(Interview mit Prof. François Dubet), in: Süddeutsche Zeitung,
No. 237, 15. Oktober 2009, S.2
(2) miba, „Atomlobbyist soll Reaktoren überwachen“,
in: Süddeutsche Zeitung, 1.Dez. 2009, p.1
(3) Man nennt diese Krise statt
South East Asian Crisis mit Recht East Asian Financial Crisis, weil sie
mit Schwierigkeiten, in die japanische Banken gerieten, begann, was sich
sofort auf die Refinanzierungsmöglichkeiten südkoreanischer chaebol
und d.h., auf deren kreditfinanzierte Expansion katastrophal auswirkte.
Vor allem wegen der starken wirtschaftlichen
Rolle japanischer Konzerne in Südostasien und der Bedeutung des japanischen
Marktes für Indonesien, Thailand, Malaysia, die Philippinen und Vietnam
kam es zu einem Schneeballeffekt.
Die Frage, ob koordiniertes Agieren von US-Seite
bewusst zur Auslösung der Krise beitrug, um Japans relativ zu den
USA zuletzt auf phänomenale Weise stärker gewordener Wirtschaftskraft
zu schwächen und um dort ebenso wie in Süd-Korea günstig
Firmen und Firmenbeteiligungen erwerben zu können, verdient, zum Anlaß
für eine genauere Untersuchung zu werden.
(4) Hans Leyendecker, „Herrscher der schwarzen
Kassen. / Eberhard von Brauchitsch, die zentrale Figur der Flick-Spendenaffäre,
ist gestorben“, in: Süddeutsche Zeitung, 11./12.Sept. 2010, S.5
(5) Ebenda
(6) Ebenda
(7) In Italien, schreibt Stefan Ulrich, regiere
in der Hauptstadt seit 2008 der post-faschistische Bürgermeister Gianni
Alemanno, als Ergebnis der Wahlniederlage der „linken Vorgängerregierung“.
Ulrich merkt an: „Bislang können die Römer [...] keinen großen
Unterschied [...] ausmachen.“ Siehe: Stefan Ulrich, „Nachrichten aus Rom“,
in: Süddeutsche Zeitung, 29./30.November 2008, S.18
Bemerkenswert, wie mit der – an die Evolution
der sich 1914 –1933 vor allem der „Stabilität“ sowie dem „übergreifenden
Staatsinteresse“ verpflichtet fühlenden SPD erinnernden – Wandlung
der schon seit längerem in vieler Hinsicht sozialdemokratischen ehemaligen
PCI die Unterschiede nicht nur zu den Wirtschaftsliberalen um Prodi und
den Resten der DC, sondern sogar zu den sich respektierlich gebenden Erben
des MSI schwinden. Zumindest erscheint es offenbar vielen Wählern
so.
(8) Stefan Ulrich, „Der Arbeiterführer
im Porsche“, in: Süddeutsche Zeitung, 13.Mai 2011, S.9
(9) Im Allgemeinen sind die Topoi des Aufstiegs
vom Tellerwäscher zum Millionär Teil eines seit langem vorherrschenden
apologetischen Diskurses. Wenn Andrian Kreye schreibt: „In den neunziger
Jahren lautete die Mantra des Erfolges: ‚Think outside your box’. Nur wer
es schaffte, außerhalb der etablierten Strukturen zu denken, wer
die gängigen Regeln und Grenzen ignorierte, missachtete, überlistete,
der konnte auch vom Informatikstudenten zum Milliardär, vom BWL-Praktikanten
zum Konzernchef aufsteigen“, dann reproduziert er letztlich ein Cliché.
Die jungen deutschen Vorzeigeunternehmer, die diesen Aufstieg zu personifizieren
schienen, entpuppten sich später oft als Windhunde, die temporär
den Schein der Erfolgs, bei ihren Kreditgebern aber bittere Enttäuschungen
produzierten. Siehe: Andrian Kreye, „Die Entfremdeten. Superreiche sind
nicht von dieser Welt“, in: Süddeutsche Zeitung, 19. Feb. 2008, S.
13
(10) Andrian Kreye, ebenda.
(11) In Deutschland „würden 66 Prozent
der Führungskräfte ihre Kinder auf die besten Privatschulen und
–universitäten des Landes schicken, um ihre beruflichen Chancen zu
verbessern,“ referiert Dagmar Deckstein. Siehe: Dagmar Deckstein,. „Eliten
unter sich“, in: Süddeutsche Zeitung, 19. Febr. 2008. Mit anderen
Worten, nicht nur die sogenannten Superreichen, die Investoren, die Besitzer
von Finanzkapital und Produktivvermögen und städtischem Grundeigentum
im großen Stil schotten sich ab. Sondern auch ihre führenden
Angestellten (die managerial class, wie Burnham sie nannte) greifen den
Trend auf.
(12) Dagmar Deckstein, ebenda.
(13) Die Behörden sollen übrigens
laut Aussagen einer damals kurz in USA Today zitierten, dann offenbar zum
Schweigen verdonnerten FBI Mitarbeiterin zuvor von den Plänen gewusst
haben, sodass die Evakuierung von Bundesangestellten aus dem fraglichen
Bundesgebäude am Tag des Anschlags kein Zufall war? Außer McVeigh
und Nichols gab es übrigens einen dritten Mann, der offenbar nie angeklagt
wurde. Hat man frustrierte, ärgerliche, nicht besonders helle Leute
„angefuttert“ durch einen Provokateur, so wie es heute oft bei inländischen
Terroristen mit islamischem background geschieht, denen Bundesagenten auch
noch die Waffen für ihre geplanten Attentate liefern müssen,
damit sie Schritte in die besagte Richtung unternehmen?
(14) Zu den eklatanten Dummheiten dieser Richtung
zählt der „Kreationismus“, der die historische Wahrheit der alttestamentarischen
Schöpfungsgeschichte behauptet, das Ignorieren wissenschaftlicher
Daten, welche den Klimawandel belegen, und die Behauptung, das Etat-Defizit
der USA gehe nicht ganz wesentlich auf die Kosten der von Bush Senior und
Junior angezettelten Kriege zurück, sondern sei voll und ganz von
der Obama-Regierung zu verantworten.
(15) Anja Röhl, „Eine neue Klasse“, in:
Junge Welt, 14.Sept. 2010, S. 13 – In Frankreich, dann auch in Deutschland
fanden einige Soziologen für diese „Klasse“ den Begriff Prekariat
angemessen. In den USA sprach man in den Medien schon länger – zum
Teil verächtlich – von einer „underclass“. Es ist diese Schicht, aus
der sich vor allem die stark angewachsene „Gefängnis-Bevölkerung“
(prison population) der USA rekrutiert. Die Verelendeten und Hoffnungslosen
werden nicht nur häufiger krank und sterben eher, sie landen auch
leichter im „Knast“.
(16) Lara Fritzsche, „Auf nach Paris!“,
in: Die ZEIT, No.25, 14.Juni 2006, S. 75
Check...:http://www.democracynow.org/2011/2/17/democracy_uprising_in_the_usa_noam
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Z Communications AND Z mag
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(Z Communications, Sept.2011)
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DIE LINKE unterstützt die weltweiten
Proteste gegen die Diktatur der Finanzmaerkte und für mehr Demokratie
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(United for Justice with Peace
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